Kaugummi, immer wieder Kaugummi
Unter dem Christbaum fanden mein Bruder und ich natürlich Geschenkpäckchen unserer beiden westfälischen Großmütter. Für uns als Grundschulkinder stand außer Frage, dass sie uns etwas schenken würden. Erst später begriffen wir, dass es für die beiden alten Frauen jedes Jahr aufwändiger wurde, diese Päckchen zusammenzustellen, zu verpacken, eine Karte zu schreiben und das Ganze zur Post zu tragen.
Gefürchtet an diesen Päckchen waren die Kaugummis. Genau so sicher, wie wir sie nicht wirklich mochten, packten unsere Großmütter für jeden Enkel gleich mehrere Packungen in die Weihnachtspäckchen hinein. Das ging jahrelang so, und der Anstand verbot es natürlich, den beiden zu sagen: Bitte keine Kaugummis mehr.
Mit wachsendem Alter von uns Enkeln und den beiden Omas wurden die Päckchen kleiner und pragmatischer. Wir lebten auf hunderte Kilometer Entfernung, sie bekamen kaum etwas mit von unserem Pubertäts- und später Studentenalltag in Bayern. So verlegten sie sich von Spielsachen auf Geldgeschenke. Prosaisch, aber praktisch für alle und sehr willkommen. Kaugummis allerdings und handgeschriebene Karten – die lagen immer mit drin, solange sie etwas schicken konnten.
Und je älter ich wurde, desto mehr habe ich mich ausgerechnet über die Kaugummis gefreut. Nicht, weil ich sie inzwischen mochte! Sondern weil ich verstehen konnte, dass diese Kaugummis von Herzen kamen. Immerhin diese „guten Sachen“ konnten sie uns noch schicken. Vielleicht spielte bei den beiden kriegserfahrenen Trümmerfrauen außerdem eine Rolle, dass Kaugummi in Nachkriegsnotzeiten etwas besonders Wertvolles, Luxuriöses, Amerikanisches gewesen war.
Und das war wohl, was sie von Herzen schenkten: Nicht die 10-Pfennig-Kugel zum Kauen, sondern ein wenig Luxus im Kinder- und Studentenleben, Freude und Wohlergehen.
Einfache Dinge können ganz wunderbare Geschenke sein, wenn man ihre Bedeutung kennt.
Ich wünsche Ihnen jede Menge „Kaugummi“,
Ihr
Pfarrer Frank Nie
Evangelische Klinikseelsorge Chirurgie